Von Dr. Josef Mühlberger
Wie ein gewaltiges Aufflackern, wie ein Ermannen aller geistigen Kräfte
ist die Zeit des 16. Jahrhunderts für die Stadt. Es ist jenes Jahrhundert,
das ja auch für ganz Deutschland von so großer Bedeutung war.
Mit dem Einzug des hochgelehrten Schulmeisters Johannes Rubinus kam 1492
der Humanismus in die Stadt, jene Bewegung, die reines Menschentum aus
den Werken und aus dem Leben der alten Griechen und Römer schöpfte
und die diese Kultur dem deutschen Volke lehren und einpflanzen wollte.
Ein schönes fremdes Reis auf dem heimischen Baum. Johannes Rubinus
blieb wegen seiner Zurückgezogenheit und seines stillen Gelehrtentums
ohne Einfluß auf die Bürger. Der Schulmeister Johannes Rosa
aber war imstande, durch die humanistische Wissenschaft der städtischen
Kultur "einen geistigen Adel zu schaffen, für den die Schranken
des Ständeunterschiedes nicht mehr vorhanden waren und der die edelsten
Geister aus allen Kreisen in einer höheren Gemeinschaft zusammenführte".
(Wolkan.) Er führte das sogenannte Convivium musicum ein. Alle vier
Wochen lud ein anderer Bürger der Stadt seine gleichgesinnten Freunde
zu sich zu einem Festessen und zu gelehrter Aussprache ein. Im ganzen
beteiligten sich dreizehn Personen, die alle, bis auf drei, gelehrt waren.
Frühzeitig schon hatte der Humanismus Einzug in Trautenau gehalten,
um aber auch bald wieder zu verfallen. Tieferen Einfluß übte
die Reformation, die gesündere und dem Volke näherstehende Bewegung,
aus. Die Reformation war imstande, die Bevölkerung zu begeistern
und zu neuem Leben zu wecken. Nicht nur in religiöser Hinsicht. Sie
wirkte vielmehr auch auf die Schule, Dichtung und auf das gesamte geistige
Leben. 1526 kamen die ersten protestantischen Bücher in die Stadt,
und bald war sie bis auf wenige Ausnahmen protestantisch. Tüchtige
Pfarrherren wirkten und verbreiteten den Geist der Einfachheit und der
starken Gottesfurcht.
Der deutsche Kirchengesang wurde eingeführt. Und unter Johannes
Thimus wird alles Prunkvolle aus der Kirche entfernt. Auch die Kerzen
ließ er von den Seitenaltären wegnehmen und gestand in einer
Predigt, daß er die Kerzen lieber beim nächtlichen Studium
verwende. In Predigten, die sieben volle Jahre beanspruchten, legte er
die Bibel vom Anfang bis zum Ende aus.
Die Lateinschule nahm einen rühmlichen Aufschwung. "Mit all
den Lehrbüchern ist hier gebrochen, die das Mittelalter und auch
noch das 19. Jahrhundert so sehr verehrt hett, und der Einfluß der
berühmten Schule zu Goldberg macht sich geltend" (Wolkan). Tüchtige
Lehrer standen der Schule vor, wie z. B. Johannes Geißler, von dem
der Chronist meldet: "Anno Domini zog der wohlgelehrte Herr Johannes,
Geißler von Goldperg allhieher. Mann hett die Schul noch größer
bauen müssen, wo der alter her Geißler nicht gestorben, denn
es waren viel junge edelleut und frembde Knaben allhie und große
studiosi Bähmische von Prag und sonsten."
Unter Valerius Grünberger kommt die Sitte auf, Schauspiele aufzuführen,
welche Sitte sich in der Folgezeit so schön entfalten sollte.
Belehren und Bessern war die Absicht des "Komödiespielens".
Das sehen wir aus der sorgfältigen Auswahl der Stücke, die durchweg
ernsten, meist geistlichen Inhaltes sind. Es seien nur einige aufgezählt:
Jörg Wickrams "Spiel von den 10 Altern", der von Hans Sachs
bearbeitete Roman Wickrams: "Von Ritter Galmi", dann Stücke
von Hans Sachs selbst: "Das Spiel von den ungleichen Kindern Adams",
von "Hecasto und dem reichen Manne", das sogenannte Jedermannspiel,
"die Comoedi vom alten und jungen Tobias", ferner die Weihnachts-
und Dreikönigsspiele, die sich zum Teil noch bis heute erhalten haben
und die vom Trautenauer Jungvolk verdienstvoll aufgefrischt werden. Zwar
haben wir keinerlei Nachricht, wie gespielt wurde, schließlich können
wir uns aber aus den oftmaligen Wiederholungen, aus dem guten Besuche
und den reichlichen Einnahmen ein ungefähres Urteil erlauben.
Trautenau ist auch die einzige Stadt Böhmens, von der wir mit Sicherheit
wissen, daß dort eine Singschule der Handwerker abgehalten wurde.
Diese hielt ein Leineweber aus Meißen auf dem Schlosse 1585 und
1589 ab.
Auch ein Volksbuch ist In jener Zeit entstanden, das die geisterhaften
Umgänge des Bürgers Hübner nach seinem Tode schildert.
Das Buch ist zwar gedruckt worden, doch heute gänzlich verschollen.
Die Gestalt Hübners lebt in der Sage vorn "Stolfstoffla"
noch heute weiter.
Endlich müssen wir noch eines Mannes gedenken, der in seiner Person die
Bewegung im kleinen widerspiegelt: Simon Hüttel.
Er ward 1530 in Trautenau geboren und war seines Zeichens ein Maler,
doch nicht etwa ein gewöhnlicher Anstreicher. Hüttel wer ganz
Kind seiner Heimat und seiner Zeit. Mit großer Liebe hat er in seinem
"Memorativ" die Geschichte seiner Heimatstadt von 1484 bis 1601
niedergeschrieben. Diese Chronik gehört zu den wertvollsten Stadtchroniken.
Sie entwirft uns ein genaues Bild vom Leben und Treiben der Bürger
dieser Zeit. Außer dem "Memorativ" schrieb Hüttel
noch einen "Auszug aus dem Memoriativ", eine wertvolle, übersichtliche
Geschichte der Geistlichen und Lehrer von 1493 - 1582. Seine "Sammlung
von Entstehungssagen" erzählt die sagenhafte Geschichte der
engeren Umgebung von 1002 - 1056. Eine "Sammlung von Predigten"
ist leider gänzlich verschollen. In unserer Zeit wurde ein neues
Büchlein von Hüttel aufgefunden, das die Geschichte der Silbersteiner
erzählt. Die Blätter lesen sich wie ein feines Geschichtchen
eines alten Dichters.
Hüttel ist eng mit den Geschicken und der Geschichte seiner Heimat
verwachsen. Er dürfte bald nach 1601 gestorben sein.
Ein Jahrhundert kaum währte die Blüte. Allenthalben hatte es
sich geregt, beim Ratsherrn und Handwerker, bei Lehrer und Schüler.
Reiche Triebe setzte der Stamm an. Aber dann kam die schwerste Zeit: der
Dreißigjährige Krieg. Er erstickte und erdrückte die reich
entfalteten Ansätze. Und die folgenden zahlreichen Kriege, Bedrückungen
und Unglücksfälle aller Art ließen sie nie, wieder so
schön und mannigfaltig aufkommen.